Chronik

Die nachfolgende Chronik wurde anlässlich des Jubiläumsjahres der Chrischona-Kapelle Mattwil von Jean Huber und Jules Dintheer zusammengestellt.

1200: Gründungszeit

Das Bauerndorf Mattwil wurde im Jahre 1200 zum ersten Male mit Matewilare erwähnt. Nach ihm benannte sich eine niedere Adelsfamilie, welche im Dienste des Bischofs von Konstanz stand. Ein Burgsäss ist nicht nachweisbar. Die Bedeutung des Namens ist umstritten. Das „Mate“ muss nicht unbedingt Wiese heissen. Es könnte auch von einem Personennamen herstammen. Vor dem Jahre 1798 war die Gerichtsbarkeit über das Dorf geteilt. Zwei Drittel, das Oberdorf, lagen in den Hohen Gerichten, standen also direkt unter dem Landvogt. Das untere Drittel gehörte seit 1233 dem Bischof von Konstanz, welcher Ihn durch sein Gericht Berg verwalten liess. Grosser und kleiner Zehnten mussten dem Domkapitel in Konstanz abgeliefert werden. Die Träger (Einsammler) stammten aus den Familien Brugger, Nufer und Oswald. 1710 betrugen die Zehntabgaben: 25 Müth Kernen (entspelztes Korn), 25 Hühner, 25 Müth Haber, 10 Gulden. Eine saftige Steuer! 25 Müth entsprechen mehr als 10 Doppelzentnern.
Kirchlich gehörte Mattwil zu allen Zeiten zur Kirchgemeinde Langrickenbach. Die Bewohner traten 1529 zur neuen Lehre Zwinglis über. 1873 baute die Chrischona Basel im Unterdorf ein «Bethaus», welches von den Anhängern dieser Gemeinschaft aus dem Dorfe und der Umgebung besucht wird, um dort ihres Glaubens froh zu werden.

Schulisches

Eine Schule bestand schon 1682. Aber sie wurde nicht jeden Winter gehalten. Fehlte ein Schulmeister oder waren zu wenig Kinder da, um eine eigene Gemeindeschule bilden zu können, so wanderten die Schüler jeden Tag nach Klarsreuti oder Happerswil. Manche blieben dann einfach zu Hause. Die Zahl der Absenzen war sehr gross. Ein Schulzwang besteht erst seit 1803. Ueber die Schulverhältnisse am Ende des 18. Jahrhunderts gibt uns die „Stapfersche Enquete“ Auskunft, welche 1799 im Auftrage der Helvetischen Regierung durchgeführt worden war. Damals leitete die Winterschule der 17jährige Schulmeister Hs. Jb. Keller. Er unterrichtete im Lesen, Schreiben und Rechnen. Seine 20 Schüler waren in drei Klassen eingeteilt. Als Schulbücher dienten das Namensbüchlein (eine Art Fibel) und die Testamente. Die Wohnstube des Lehrers war zugleich Unterrichtslokal. „Aber er hatte nichts dafür. Der Lohn war klein und veränderlich, weil die Gemeinde jeden Herbst einen neuen Accord abschloss.“ Keller betätigte sich im Sommer als Weber. Von 1836 bis 1844 fanden mit Klarsreuti und Birwinken Verhandlungen zum Bau eines gemeinsamen Schulhauses mit einer Klassenschule statt. Diese scheiterten aber 1844 endgültig. Die Fabrikanten Leumann anerboten sich, für Mattwil und Klarsreuti ein Schulhaus für 2300 Gulden zu bauen. Die Mehrkosten wollten sie selber tragen. Sie, die stolzen Bürger von Mattwil, konnten es nicht verwinden, dass das Schulhaus ausserhalb ihrer Gemeinde zu stehen gekommen wäre. In diesem Jahre vereinigten sich Mattwil und Klarsreuti zu einer Schulgemeinde. 1959 kam die grosse Vereinigung, mit Ausweitung auf Happerswil, doch noch zustande. Die neue Schulgemeinde Mattwil-Birwinken-Happerswil konnte 1965 in Mattwil ein neues Schulhaus einweihen, in welchem auch eine Abschlussklasse Unterkunft fand.

1600 – 1800: Die Gemeinde Mattwil

Die Mühle stand schon im Jahre 1600. Die Familie Bommeli wohnt seit 1850 auf ihr. Das Mühlrad klappert schon seit über 50 Jahren nicht mehr. Der Müller ist zum Bauern geworden. Die Gemeinde vergrösserte sich 1848 um den Hof Altighofen. Er gehörte ursprünglich zu Birwinken. Bei der Neuanlage der Strasse Leimbach-Mattwil wurde diese auf einer kurzen Strecke über Birwinker Boden gezogen. Als es ans Zahlen ging konnte Mattwil die Nachbargemeinde überzeugen, dass es viel besser wäre, wenn sie die paar Jucharten Land südlich der Strasse abtreten würde, statt an eine Strasse zu zahlen, die ihr wirklich gar nichts nütze. Birwinken sagte vernünftigerweise zu. Seither bildet der Bach die natürliche Grenze.

Quartiermeister Leumann

Bis zum Beginn des 19. Jhr. war Mattwil ein stilles Dorf geblieben. Im Winter wurde, wie in allen oberthurgauischen Ortschaften, gesponnen und gewoben und Hanf und Flachs zu Leinen verarbeitet. Der von Kümmertshausen stammende Hs. Georg Leumann (1751-1819) brachte einen frischen Zug in die Arbeit der Bauern und Weber. Er betätigte sich als Fergger, d. h. Mittelsmann zwischen den Baumwollwebern und Handelshaus. Seine drei Söhne Hs. Georg, Hs. Jacob und Johann, die Gebrüder Leumann, erwarben sich das Bürgerrecht in ihrer neuen Heimat. Sie errichteten 1835 eine Rotfärberei und bauten nach 1850 eine Buntweberei, in der sie 30-40 Arbeiterinnen und Arbeitern einen lohnenden Verdienst boten. Die Geschichte der Familien Leumann weitete sich zur Dorfgeschichte aus.
In der nächsten Generation standen an der Spitze der Leumannschen Betriebe in Mattwil und Bürglen Johs. Georg, „der obere Haupme“, Johannes der Quartiermeister und Johs. Jacob, der Major. Alle drei waren freisinnige, glühende Patrioten. Vom Glanz dieser reichen Familien zeugen noch ihre ehemaligen Wohnhäuser. Im heutigen Restaurant zur Waage hauste Johs. Georg; der Vater des Ständerates. Im schönsten Haus im Unterdorf (neben der Kapelle) regierte Johannes, der Quartiermeister, der sich zur Hauptsache mit Landwirtschaft beschäftigte und als grosser Förderer des Obstbaues galt. J. Jacob, der Major, zog 1854, kurz nach seiner Verheiratung mit Marie Messmer von Erlen, in das neu gebaute Haus ein, welches jetzt der Käser bewohnt.
Ältere Leute kennen den Major noch aus den Erzählungen ihrer Eltern. In ihrem Urteil erscheint er als Wohltäter, aber auch als (fast) Diktator des Dorfes. Er liess sich mit seinem militärischen Grade anreden. Die Sorgen dieses tatkräftigen Mannes waren seine Fabrik und seine Heimat Mattwil. Sein Grundsatz lautete: Wenig durch den Staat, möglichst viel durch private Initiative. Er zahlte in seiner Fabrik, an den Verhältnissen der damaligen Zeit gemessen, gute Löhne. Die Krankenkasse, zum grösseren Teil von ihm, dem Fabrikherrn gespiesen, sorgte für die kranken Tage der Arbeitnehmer. 1876 schloss er mit der Unfallversicherungsanstalt Winterthur für seine Arbeiterschaft eine Versicherung ab, indem er die grosse Einkaufssumme auf den Tisch legte. An der Strasse nach Birwinken liess er vier Arbeiterhäuser erstellen, um den in der Weberei beschäftigten Familienvätern preislich günstige Wohnungen geben zu können. Durch seine Bemühungen bekam Mattwil 1873 eine der ersten Telegraphenstationen im Thurgau.
Der Major wünschte eine gute Schulung der Jugend. An die Primarschule Mattwil wurden nur tüchtige Lehrer gerufen. So Bissegger, Gonzenbach und Roth. Er hat die Sekundärschule Birwinken aus der Taufe gehoben und ihr viele Jahre als Präsident und Pfleger gedient. In der Mittwochgesellschaft im Rosengarten Birwinken sah er nicht nur eine Vereinigung zur Pflege der Freundschaft, sondern einen Ort der Vorträge und ernsthaften Diskussionen, eine Erwachsenenschule. Der Industrielle Leumann trat 1877 gegen das zur Abstimmung vorliegende Fabrikgesetz auf. Er blieb sich selber treu. Keine unnötigen staatlichen Ketten! Tatsächlich waren denn auch wesentliche Forderungen des neuen Gesetzes in seinem Betriebe bereits erfüllt. Wir können ihn in diesem Punkte nicht unterstützen.
Als Präsident der Gesellschaft zum Bau einer Eisenbahnlinie von Wil über Weinfelden nach Konstanz gab er sich alle erdenkliche Mühe, damit das Tracé über das Tobel zur geplanten Station Birwinken-Mattwil gezogen werde. Vergeblich! Es war seine letzte Arbeit für seine Heimat gewesen. Seine Niederlage musste er nicht mehr erleben. Der Tod holte 1899 den «Löwen von Mattwil» zur letzten Fahrt nach Langrickenbach ab. Die Fabrik ging an die Firma Nüssli-Möhl in St. Gallen über. Das Gebäude brannte am 15. Januar 1913 ab und wurde nicht mehr aufgebaut. Für unser Mattwil und die ganze Umgebung war das ein schwerer Schlag. Als auch die Handstickerei, welche mehrere Familien ernährt hatte, in die Krise kam, wurde es wieder still im Dorfe. Das Baugeschäft Volpez konnte keinen vollen Ersatz bieten.

Wohnsitz von Quartiermeister Johs. Leumann

Wirtschaft zum Ochsen

Johs. Georg Leumann, 1842-1918

Der grösste Mattwiler war unzweifelhaft Johs. Georg Leumann, 1842-1918. Er stammte aus dem Hause zur Waage. Schon früh treffen wir ihn in Bürglen als Leiter der dort gegründeten Betriebe der Firma Gebrüder Leumann. Seine Ausbildung hatte er sich auf verschiedenen Schulen und in längeren Auslandsaufenthalten (Italien, Frankreich, England) geholt. Durch seine Heirat mit Marie Sulzer von Winterthur geriet er in den Strom der Grossindustrie. Er wirkte im Verwaltungsrat der Unfall Winterthur und mehreren anderen Firmen mit: Der Bundesrat wählte ihn in den Verwallungsrat der SBB. Ueber Synodale, Gemeinnützige Gesellschaft, Kirchenrat und Kantonsrat stieg der Politiker Leumann zum Ständerat auf, den er im Jahre 1900 präsidierte. Dem Thurgau war er von 1890-1918 ein hochgeschätzter Diener in Bern. Im Militär bekleidete er den Rang eines Oberstleutnants der Kavallerie. Er starb 1918 in Frauenfeld. Ein grosser Industrieller und Politiker war ins Grab gestiegen.

Grosse Bürger von Mattwil

Den Mattwiler Bürgerbrief trug auch Dr. Hans Brugger, 1860-1915, der in Freiburg aufgewachsen war, als Seminarlehrer in Bern wirkte und durch Publikationen über Fellenberg und sein Heimatbuch «Am Moléson» bekannt geworden ist. Albert Verdini, 1894-1962, wurde als Lehrer in Kreuzungen zum thurgauischen Pionier zur Bildung von Spezialklassen für Schüler, welche dem Normalunterricht nicht zu folgen vermögen.
Dr. Hans Brugger, ing. agr., Bauernsekretär in Brugg, hat sich durch verschiedene Arbeiten aus dem Gebiete der Landwirtschaft einen Namen gemacht. Besonders sei erwähnt seine Geschichte der Kirchgemeinde Langrickenbach.
Dr. Ernst Nägeli, Redaktor in Frauenfeld, der seine ‚ Jugendjahre in Mattwil erlebt hat, eroberte sich mit seinen «Tuusig Aamer Kartüüser» und «Rosen ond Törn» die Achtung und Verehrung aller Freunde der thurgauischen Mundarten.
Der Chefarzt des Kantonsspitals Frauenfeld, Dr. Roger Gonzenbach, ist Bürger von Mattwil. Die Gemeinde schenkte einem seiner Vorfahren, der dort viele Jahre als Lehrer und Gemeindeschreiber tätig war, das Bürgerrecht.
Die ältesten Bürgerfamilien heissen: Brugger, Oswald, Nufer, Bischoff, Hauser, Anderes, Klarer. Auch die Marti, Bommeli, Krapf, Keller, Leumann, Rutishauser und Gonzenbach sind schon mehr als 100 Jahre in Mattwil beheimatet.

Bevölkerungszahl 1634 – 1970:

1634: 52 Seelen (nach der Pest) 1800: 135 Seelen 1860: 202 Seelen
1888: 230 Seelen (Weberei) 1941: 153 Seelen 1970: 170 Seelen
Der Wanderer, der das Dorf durchschreitet, bewundert die in der Mitte des 19. Jahrhunderts erstellten Häuser der weggezogenen Familien Leumann. Vor dem alten Lippunerhaus wird er einen Augenblick stille stehn. Der «Ochsen» und die «Waage« laden zu einem Schoppen ein. Im modern eingerichteten Lebensmittelgeschäft Schäfer wird er sicher etwas Gutes für die Küche einkaufen. Der freundliche Posthalter gibt Auskunft, wann das nächste Postauto nach Langrickenbach oder Sulgen abfährt. Schon steht der Besucher vor dem neuen Schulhaus mit Turnsaal und Spielplatz. Eben strömt eine frohe Kinderschar ins Freie. Weit geht der Blick ins Aachtal und hinauf zum Säntis, dem Regenten im Oberthurgau.